Leopold. Ein schöner Tag. Früh zum Quarin, dann arbeitete ich und um ½ 12 h auf den Burgplatz. Stessel und dem Grafen schrieb ich, sie beschworen mich zu sehr darum. Ich fand Compagnie, plauderte mit Eckhart, dem wir ein Billett schickten und ging auf den Ruf (?) Es kamen österreichische Gefangene zu den kaiserlichen Ställen, wo sie vorbei passierten. Es waren 6 Kompanien Füsiliere von Salzburg, ganz neu montiert, die erst, so sagte mir ein Wachtmeister, vor 4 Wochen ausmarschierten und da sie keine Munition hatten, ohne einen Schuss zu machen, bei Korneuburg gefangen wurden. Kranke und Artilleristen folgten, die samt beinahe 100 Kanonen und dem ganzen Artilleriepark, auch ohne einen Schuss zu machen, in Feindeshände fielen. Es mochten 200 Mann sein, die Offiziere hatten ihre Degen. Sie marschierten zur Mariahilfer Linie hinaus, wo die Bürger noch mit den Franzosen die Wachen teilen. Ich sah wieder Kavallerie durchmarschieren, welche lange Kapuzinerbärte tragen. Diese tragen sie zum Andenken, dass sie mit Bonaparte in Ägypten waren. Heute erschien eine Kundmachung von der landesfürstlichen Kommissariatskanzlei, von Regierungssekretär Schulz unterzeichnet, dass alle Schiffe, Wägen und Leute mit Viktualien ungehindert nach Wien kommen und gehen können, weswegen Se. Durchlaucht, der kommandierende General en chef Prinz Murat schon den Befehl an die kaiserlichen Truppen erteilte. Mittags mit Therese allein. Nach Mittag schrieb ich an den Grafen, die Post ging aber nicht mehr ab. Stollhofer war bei uns, diese begleiteten wir nach Haus und sahen wieder bei 600 Gefangene von Salzburg und Kerpen führen, wovon 2 so durchkamen, durch die Stadt sogar fuhren. Es waren auch Kavalleristen dabei, aber nur mehr 2 hatten Pferde. Beim Theater sagte man mir und Huber, dass der Rapport kam, dass auf der großen Donau viele tote Franzosen herabschwammen; vermutlich ist zwischen Stockerau und Krems etwas vorgefallen. Ich war in beiden Theatern, im Burgtheater „Heftige junge Frau“, im Kärntnertor-Theater „Muta“ und „Tiroler“. In beiden waren Franzosen, in letzterem mehr, auch auf dem Theater. In der Zuckerbäckerei war alles voll, sie rauchten sehr stark Tabak. Auf dem Markt ist nichts zu finden. Gestern kostete das Pfund Butter 2, auch 3 fl. Niemand wagt, etwas hierher zu bringen, weil sie alles wegnehmen, auch die Pferde ausspannen. Auf den Dörfern gehen mehrere Exzesse vor; sie wollen unwahrscheinlich gut bedient werden, machen mehrere luxuriose Forderungen, wollen öfters des Tages Kaffee, Geflügel, besondere Weine und Brot. Beim gestrigen Durchmarsch führten sie durch die Stadt 10 bis 12 Kühe, mit Stricken an de Bagagewägen gebunden. In den Vorstädten, doch nicht allen, sind Franzosen; in der Stadt nur Offiziere. Die kaiserlichen Garden zu Pferd sind in den kaiserlichen Ställen einquartiert. Auf der Laimgrube packte mittags 12 h ein Franzose, der zerrissene Schuhe hatte, einen Handwerksburschen und wollte ihm seine Stiefel mit Gewalt ausziehen. Als er sich wehrte, hieb er ihm mit dem Säbel über den ganzen Mund und spaltete ihm selben. Nun kamen gleich unsere Menschen zur Hilfe, entwaffneten den Franzosen, hielten ihn fest und führten ihn zur nächsten Wache. Das sahen mehrere Franzosen, auch Offiziere und ließen es ruhig geschehen. Die Stimmung des Publikums ist sehr ernst. Die Straßen zwischen der Burg und dem Roten Turm sind zwar am Tage voll, weil wenig Menschen arbeiten, Handel und Wandel stehen. Uffenheimer, Götz, Faber, Weitenhüller (?), Wertheimer, Offenheimer, Herz, Neupauer haben schon zu zahlen aufgehört, die Folgen sind nicht zu berechnen. Abends, wie es dämmert, werden schon alle Laternen angezunden und um 9 h die Haustore gesperrt. Die Theater sind leer, Frauenzimmer, außer Huren, sieht man in den Theatern sehr wenig. Von russischen und preussischen Gesandten ist niemand hier.
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Sehr kalt, aber trocken. Um 5 h schon stund ich auf, um in mein Tagebuch, und Stessel einen langen, langen Brief zu schreiben. Um 7 h sind alle Bürgercorps vom Platz-Kommandierenden en parade auf die Glacis beordert. Der kaiserlich-königliche Befehlshaber der Garde zu Fuß, General Hulin, gab hierzu die Ordre. Es waren das Bürgerrregiment, die Schützen, Artillerie, die Bildenden Künste, die sogenannten Decreter mit blauen Aufschlägen und Kragen, und die Musterkarte. Magistratsrat Leeb als Oberstleutnant kommandierte selbe. Sie standen bei Schneestürmen bis 12 h, endlich kam der Befehl, sie sollten nun einrücken, es kämen weder Napoleon noch Hulin. Sie froren 5 Stunden, 2 Stunden war ich selbst mit Rohrweck und Giáy da. In Stockerau erhielten die Franzosen unser großes Ökonomie-Depot mit so viel 1000 Paar Stiefeln, Schuhen, Monturen, Wäsche, Helmen etc. Unaufhörlich ziehen durch die Stadt starke Patrouillen zu Pferd und zu Fuß. Die Truppenmärsche dauern noch immer fort. Am Spitz vor der letzten Tabor-Brücke warfen die Franzosen Schanzen auf und setzten Palisaden. Das Corps von Merveldt soll im Gebirg bei Mariazell geschlagen und ganz aufgerieben worden sein. Die Russen haben Melk geplündert und Langenlois angezunden. Vom Übergang der Franzosen über die Taborbrücken am Mittwoch muss ich noch nachtragen: Sie fanden den Liniengatter am Tabor geschlossen, ihre Zimmerleute hauten ihn auf. Auf der Brücke standen 2 Kavalleristen von uns, diese schossen ihre Pistolen in die Luft, zum Zeichen, dass hier die Grenze der Neutralität sei und sprengten davon. So nahmen sie ungehindert von den Brücken Besitz. Gestern Abend kam ein französischer Infanterist auf die Windmühl zum Lamm, forderte Essen, Trinken und Quartier, und als im dies in Fülle gereicht wurde, auch ein Mensch zur zeitlichen Freude. Dies konnte nicht gleich herbeigeschafft werden; also ergriff er die Wirtin und als sie ihm entwischte, schoss er eine Pistole nach ihr ab, verfehlte sie aber und die Kugel fuhr durch die Zimmertüre durch. Er wurde gleich arretiert. Der kaiserlich-königliche General Hulin erließ eine Kundmachung, dass binnen 24 Stunden alle hier befindlichen Fremden ihm angezeigt, und ohne seine Erlaubnis niemand aufgenommen werden soll. Niemand von den Truppen darf in seinem Quartier länger bleiben, als seine Anweisung lautet. Alle sollen, was immer sie kaufen, gleich bar bezahlen. Ich sah heute mehrere von der kaiserlich-königlichen Suite, sie sind dunkelgrün gekleidet und mit goldenen Tressen bordiert. Die Stände und der Magistrat waren in der Burg im Ratssaal versammelt und warteten Sr. Kaiserlich-königlichen Majestät. Bis ½ 3 h schrieb ich an den Grafen und Stessel und schickte den Laufer Stephan weg. Mittags allein, nach Mittag schrieb ich wieder und ging herum. Therese hatte Probe von „Palma“. Nach Mittag ging sie mit Goldmann zur Edmunda Bulla gratulieren, gestern war sie bei Traun. Abends im Burgtheater „Wandernde Komödianten“,“Apollo als Hirt“, im Kärntnertor-Theater „Gartenmauer“ und „Taubstumme“. Se. kaiserlich-königliche Majestät Napoleon sind um 2 h von Mameluken begleitet durch die Stadt gefahren, um bei der Armee jenseits der Donau zu sein, da sich die Russen in großer Menge sammeln. Man sagt, sie waren schon in Korneuburg. In diesen Tagen wird wohl wieder eine blutige Schlacht vor sich gehen. Dem Kaiser folgten seine Garderegimenter durch die Tuchlauben, und mehrere Regimenter Kavallerie und Infanterie über den Graben zur Donau-Armee. Sie hatten ihre Kanonen, Bagage und trieben sogar Ochsen mit. Selbst seine Garden zu Pferd und die Kanonen, welche am Burgplatz standen, mussten eilig aufbrechen. Viele im Publikum machten die Bemerkung, bestimmt hätten sie einige Regimenter, sowohl Kavallerie als auch Infanterie, schon zweimal durch die Stadt marschieren sehen, weil sie die Offiziere davon kannten. So suchen die Franzosen die Wiener durch Menge zu täuschen. Auf dem Burgplatz beim Wegführen der Kanonen und Abmarsch der reitenden Artillerie und Garden kam ich mit Immler (?), Michel und Rohrweck wieder zusammen. Alles freute sich schon im Stillen des Sieges der Russen, welche die Franzosen fürchten, da sie keinen Pardon geben, und in der letzten Affäre einen Obersten beim Arsch gespießt in ihr Lager trugen. Sie sind sehr grausam. Auch glaubt man, Kaiser Alexander sei bei der Armee. Im Burgtheater hörte ich, Napoleon erwarte hier den Kurfürsten von Bayern, um ihm provisorisch die Regierung zu übergeben, auch will er unseren Kaiser hier haben, hier soll er öffentlich den Frieden unterschreiben, die Stände ihn garantieren, dass er die deutsche Kaiserkrone abschwören und mit Frankreich gegen Russland eine Offensiv- und Defensivallianz schließen. Auch soll Polen wiederhergestellt werden, darum sei der Zweck der Franzosen, jetzt nach Polen zu gehen. Österreich bis an die Enns, Salzburg, Eichstätt, Venedig und die militärische Position von Tirol soll abgetreten werden. In beiden Theatern leer, besonders im Kärntnertor-Theater, da blieb ich der Compagnie wegen.
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Kalt, aber heiter. Früh marschierten wieder Franzosen durch. Viele von der Kavallerie hatten kaiserliche Pferde, samt Reitzeug und Schabracken. Zwei Infanterieregimenter hatten Trommeln und Pfeifen, was selten ist, da sie sonst nur Trommeln allein haben. Sie marschieren sehr schnell und hatten bei ihrem Tross Kühe und Ochsen. Wenn das noch lange so fortdauert, so kennt bald niemand mehr das blühende Österreich. Täglich musste bis jetzt der Magistrat 50.000 Portionen Brot, Fleisch, Wein, Haber, Heu etc. [abliefern ?]. Alles fürchtet Hungersnot mit ihren schrecklichen Folgen. Die Last der Einquartierung ist unerschwinglich, besonders auf dem Land. Den Vulcani kosten seine Feinde täglich 50, auch 60 fl., den Eskeles 100 fl., ohne Viktualien, die er noch von hier schickt. Unbarmherzig wird Stadt und Land ausgesaugt. Nach dem Frieden ist ein armes Land, ein unvermeidlicher Staatsbankrott und das Elend von Hunderttausenden die unvermeidliche Folge. Heute sind in beiden Hoftheatern die Zettel französisch – versteht sich die Titel – gedruckt, und die Preise beigesetzt. Im Burgtheater „Balboa“, im Kärntnertor-Theater „Pamela“ und „Tanzsucht“. Bis 10 h schrieb ich, ging dann herum, sah was in der Stadt passiert und suchte Compagnie. In der Burg stehen keine Garden mehr, nur gemeine Musketiere. Marschall Bessières ist auch abgereist. Einen Trieb Ochsen und Kälber trieb man auch durch die Stadt. Ich schlich mit Gruber bei 2 Stunden herum, war in Compagnie auf dem Fischmarkt und auf der Bastei und sah beim Bisamberg mächtige Rauchsäulen aufsteigen, auf dem Berg Truppenbewegungen. Auch hörte man von Zeit zu Zeit Kanonieren. Die Affäre dauert seit gestern, man weiß aber nicht, zu wessen Vorteil. Erzählt wird, Kutusow sei von den Franzosen eingeschlossen. Vermuten lässt sich, dass die Franzosen nicht Sieger sind, weil das Gefecht immer in einer Gegend bleibt und die Franzosen nicht vordringen. Nach Mittag war ich mit Therese, Polly und Goldmann auf der Bastei spazieren. Beim Stubentor kam ich mit Strumpfwirker Frey (?) zusammen, der mit vielen anderen Menschen über die Bastei eilte und sagte, die Franzosen retirieren, die Russen hätten gesiegt, verfolgten sie und wären schon beim Tabor. Das Gedränge und die Verwirrung in der Leopoldstadt wären im höchsten Grad, die Menschen stürzten übereinander. Indessen war es nur ein blinder Lärm, der aber alle Vorstädte alarmierte und bald Exzesse verursacht hätte. In der Stadt und den Vorstädten wurden alle Tore gesperrt, blieben‘s auch schon. Im Stadtgraben hausen die Franzosen schon mit unserer Artillerie. Auf den Wällen haben sie die Kanonen abgedeckt. Die Schlachtochsen sind alle in die Stadtgräben getrieben. Abends schlich ich noch mit Sanenz herum, ging dann zu Brandl, dem ich die Loge gab. Im Burgtheater war ich, sehr leer, und im Kärntnertor-Theater, wo ich’s erträglich fand. Ich war meistens auf dem Theater, wo es von französischen Offiziers gedrängt voll war.
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Kalt, trüb. Früh schrieb ich, ging aus und forschte nach dem Vorgefallenen, las die Theaterzettel. Im Burgtheater „Podestà“, im Kärntnertor-Theater „Schloss Limburg“, dann zum 1. Mal „Seehafen“ (?) Divertissement von Gallet. Therese passierte mit Koch die Rolle von „Palma“. Nach 11 h ging ich in die Generalprobe vom neuen Ballett, die mich nicht empfing (?) Ich blieb bis 12 h, holte Therese ab und wir gingen zum Burgtor hinaus über die Glacis, wo ein ganzer Artilleriepark steht, teil unsrige, teils französische Kanonen. Im Stadtgraben werden Kanonen auf Lafetten gesetzt; damit niemand hinabsehen kann, stehen alle 100 Schritte Wachen. Heute marschiert wieder Militär bei allen Toren aus und ein. Wegen des gestrigen Alarms ist von R[udolph] Grafen Wrbna eine Kundmachung angeschlagen, die ungefähr so anfängt: „Als die kaiserlich französischen Posten abgelöst wurden und es manche für kaiserlich russische Truppen ansahen, entstand ein Gerücht, als ob in der Nähe der Donaubrücken ein Gefecht vorgefallen wäre. Dies verursachte Auflauf und Unordnung. Man warnt also jedermann, ja Ordnung und Ruhe zu handhaben, weil beim zweiten solchen Fall ganz sicher noch mehr französische Truppen in die Stadt verlegt würden“. Dann erschien ein Armee -Befehl für den Platz Wien, deutsch und französisch, vom Platzkommandanten General Hulin, dass man vernommen habe, dass mehrere in den Wirtshäusern Anweisungen, statt barem Gelde gäben. Solche, die wahrscheinlich keinen Rang in der Armee haben, sollen sowohl von französischen Soldaten, als auch von Bürgermilizen verhaftet und vor ihn gebracht werden. Auch soll allen Viktualien-Fuhren, und Leuten, welche selbe bringen, jeder mögliche Vorschub geleistet werden. Heute erschien auch ein französisches Extrablatt, das erste seit der Entstehung Wiens; erstens ein Waffenstillstand mit den Russen, geschehen zu Hollabrunn am 16. November 1805 zwischen Bolliard, Chef des großen Generalstabes und Generaladjutant Wintzingerode; zweitens Gefangennehmung der Kolonne des Generalmajors Hillinger auf den Anhöhen von St. Leonhard, von 5000 Mann, 70 Offiziers, einem Brigadier, Major, Obersten und 80 Pferden. Die Kapitulation geschah am 2. November 1805 im französischen Hauptquartier zu Montebello in Italien. Mittags allein, nach Mittag arbeitete ich, sah wieder Truppenmärsche. Abends ins Kärntnertor-Theater, ziemlich voll. Der Ballett schlüpfte durch, machte aber samt den Nationaltänzen kein Glück. Heute ist ein Verbot angeheftet, dass die französischen Offiziers und niemand ohne Geschäfte auf’s Theater darf, das sie fast bestürmten. Im 3. Stock las ich ein 2. Extrablatt über den Verlust von 191 Kanonen, Eroberung Tirols, Flucht des Ehz. Johann in das Gebirge und Retirade des Ehz. Carl. in Italien. Schrecklicher Velust, alles ist verloren, wenn es sich bestätigt. Auch ist hierin die Neutralität Ungarns durch General Pálffy geschlossen.
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Heiter. Quarins Geburtstagsfeier. Therese war bei ihm, Weigl und der Barany gratulieren. Ich schrieb, war mit einem Brief bei Terzaga, antwortete dem Grafen und fand beim Ausgehen folgendes höchst überraschendes Manifest angeschlagen: „Auszug aus den Aufsätzen des Staatssekretariats, gegeben im Palaste zu Schönbrunn am 15. November 1805. Wir Napoleon, Kaiser der Franzosen und König von Italien haben beschlossen und verordnen wie folgt – hier folgt die Einteilung der Regierungsgeschäfte und Beamten im Kriege –: Der Divisionsgeneral Clarke ist zum Generalgouverneur, und der Staatsrat Daru zum Generalintendanten von Österreich ernannt, und wohnen in Wien.“ Unterschrieben ist Napoleon, auf Befehl des Kaisers B. Hugues Maret mp, Staatssekretär. Diese neue Regierung, der alle Länderstellen, Bürgermeister, Polizei etc. untergeordnet sind, verursachte eine traurige, sehr nachdenkensvolle Stimmung im Volk. R[udolph] Graf von Wrbna warnt auf’s Neue das Publikum vor allen Unbesonnenheiten, Bewegungen und Unordnungen und legt ihnen die Folgen ihres traurigen Schicksals ans Herz. Vor Tische hatte ich noch wegen Einquartierung in des Grafen Wohnung zu laufen, sprach auch mit Kunz, um die Last auf den Hausherrn Gontard zu wälzen. Mittags allein, nach Tische schrieb ich an den Grafen weiter, auch an Keglevich, Origoni brachte mir einen Einschluss. Abends sang Therese im Burgtheater „Capricciosa“, die Loge gab ich an Kunz; im Kärntnertor-Theater „Puls“ und „Seehafen“ (?) Heute wurde ein 3. Extrablatt ausgegeben, von der Gefangennahme und Ermordung von 5000 Russen, der Verweigerung der Kapitulation durch Napoleon. Manche Sachen widersprechen sich in den 3 Blättern und verlieren so das Gepräge der Authentizität. Um 5 h ging ich herum, traf Cleynmann, ging mit ihm in die Burg. Da brachte man eben bei 200 russische Gefangene ein, die erbarmungswürdig aussehen. Sie konnten sich kaum fortschleppen, hinkten, waren ohne Montur, in Kitteln, und umringten uns bettelnd. Staatsminister Talleyrand wohnt mit seinem Gefolge in der Burg. Jenes und die Zurückgebliebenen des Napoleon machen eine außerordentliche Suite. Zum Frühstück allein brauchen sie täglich – ohne Karbonaden, Rostbraten etc. – 200 Bratwürste. Man sagt, Talleyrand sei für den Frieden gestimmt und vermag sehr viel. Heute haben die Franzosen die städtischen und Staatskassen übernommen, und werden jetzt von den Franzosen verwaltet. Die Bürger haben alle Wachtposten an den Stadttoren und Linien verloren, und Franzosen sie allein besetzt; eine Folge der sonntägigen Zusammenrottungen. In den kaiserlichen Reitställen und auf dem Josephsplatz kampieren die Franzosen und brennen große Wachtfeuer. Sie liegen und stehen herum, als ob sie mitten unterm freien Felde wären. Was geht jetzt in Wien alles vor ! Abends 7 h, als ich in Compagnie herumging, marschierten 2 Regimenter Infanterie beim Roten Turm durch die Stadt, beim Kärntnertor hinaus. Die meisten trugen freie Lichter, teils in der Hand, teils auf die Musketen gesteckt, und so zogen sie durch. Später war ich in beiden Theatern. Im Kärntnertor-Theater war es sehr leer. Beim Grafen ist seit 4 Stunden der Kriegskommissar Ferro einquartiert, von der Division des Marschalls Mortier, die am 11. November zwischen Krems und Stein von den Russen sehr gelitten hat.
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Peter Prokop: Die Tagebücher des Joseph Carl Rosenbaum (ÖNB SN 194- 204) - eine Arbeitstransskription.
Die nachstehende Arbeitstransskription der in der Österreichischen Nationalbibliothek (Sammlung von Handschriften und Alten Drucken) in 11 Manuskriptbänden aufbewahrten Tagebücher des gräflich Esterházyschen Sekretärs Joseph Carl Rosenbaum (1757-1829) wurde vom Autor ursprünglich für private Zwecke als Findhilfe für architekturgeschichtliche Recherchen angefertigt, um das digitale Auffinden von Personen und Zusammenhängen zu erleichtern, die im Zusammenhang mit der Arbeit am „Architektenlexikon Wien 1770-1945“ relevant wurden. Es handelt sich demnach lediglich um eine Findhilfe, keineswegs aber um eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Edition. Diesem Primärzweck entsprechend, weicht die Transskription vom Originaltext in folgenden Details ab:
Rosenbaums biedermeierliche Schreibweise wurde modernisiert, seine Syntax jedoch weitgehend beibehalten; seine nicht immer eindeutige Interpunktation (mittels Bindestrichen) jedoch durch die heute gebräuchliche ersetzt.
Innerhalb der einzelnen Tageseintragungen wurden die gelegentlich vorkommenden Wiederholungen ein und desselben Sachverhaltes zusammengezogen.
Die von Rosenbaum ausgeschriebenen Wochentagsnamen wurden weggelassen, da mit dem Datum des jeweiligen Tageseintrags redundant. Dieses wurde im Format Jahr / Monat / Tag wiedergegeben. Die Bezeichnungen von Feiertagen wurden beibehalten. •Die ab etwa 1816 stereotyp wiederkehrenden Notizen zum täglichen Wetter und zum jeweiligen Programm der Hoftheater und des Theaters an der Wien wurden an den Beginn des jeweiligen Tageseintrages gerückt.
Bei Personennamen, deren Schreibweise bei Rosenbaum nicht selten variiert, wurde eine einheitliche und möglichst dokumentarisch belegte Schreibweise angewendet.
Fragliche Lesungen von Personen-, Ortsnamen u. dgl. wurden durch nachgestellte Fragezeichen (?) gekennzeichnet, Rosenbaumsche Abkürzungen entweder ausgeschrieben oder ihre wahrscheinliche Ergänzung in eckige Klammern gesetzt. Abgesehen davon wurde auf möglichste inhaltliche Vollständigkeit der Textwiedergabe geachtet. Kleinere Auslassungen und Tippfehler sind bei einer manuellen Eingabe von rund 9 Millionen Zeichen trotz aller Sorgfalt nicht ganz auszuschließen. Wem aber mit der raschen Auffindbarkeit von Personen, Orten, Sachbegriffen etc. gedient ist, ist eingeladen, sich dieser Ressource zu bedienen.
Der Autor ersucht lediglich um Einhaltung der üblichen Zitierungsusancen (siehe obenstehender Titel oder abgekürzt, z B. in Fußnoten Datum des zitierten Eintrages, bzw. bei Einträgen ohne Datum mit Band und pagina).